Von Ines Engelhardt
Man sagt ja, alle guten Dinge sind drei. Für mich hat sich dieser Spruch dieses Jahr bewahrheitet. Zum dritten Mal nahm ich an einer Weltmeisterschaft der Frauen teil und schaffte es als drittplatzierte aufs Treppchen. Ein tolles Gefühl!
Diese Weltmeisterschaft fand in Husbands Bosworth in Mittelengland 70 km westlich von Birmingham vom 13. bis zum 27. August 2022 statt.
England ist unter PilotInnen nicht gerade als Segelfliegerparadies bekannt. Das häufige Durchziehen von Tiefdruckgebieten beschert der Insel oft nur mäßiges Streckenflugwetter mit niedrigen Wolkenuntergrenzen, starkem Wind und zerrissener Thermik. So war es also sehr überraschend als wir zur Trainingswoche anreisten, dass ein stabiles Hochdruckgebiet über England lag, welches uns hochsommerliche Temperaturen und gute Steigwerte für die ersten Flüge bescherte. Das Kennenlernen des Wettbewerbsgebiets ist ein zentraler Teil der Vorbereitung. Man macht sich vertraut mit dem Gelände. Fragen wie zum Beispiel „Wo findet man gute thermische Gebiete“, „welche sollte man eher meiden?“, „Gibt es Außenlandmöglichkeiten oder Hindernisse im Endanflug?“ sind von zentraler Bedeutung. Aber auch der Check aller Instrumente und Aufzeichnungsgeräte ist wichtig für die TeilnehmerInnen und für das ausrichtende Team, denn im Wettbewerb soll ja dann alles möglichst fehlerfrei laufen.
Mit dem Einzug der 14 teilnehmenden Nationen auf dem Marktplatz des Nachbarortes Market Harborough und weiteren Feierlichkeiten wurde die Weltmeisterschaft feierlich eröffnet. Besonders erwähnen möchte ich hier die Teilnahme zweier ukrainischen Pilotinnen, für die der englische Segelflugverband im Vorfeld eine große Spendenaktion gestartet hatte. Eine dieser Teilnehmerinnen ist Olena Yakymchuk, die wegen des Krieges in ihrem Land zurzeit mit ihrer Tochter in Brandenburg an der Havel wohnt und jetzt Mitglied in unserem Fliegerklub ist.
Der erste Wettbewerbstag am 14. August wird wohl unter den englischen Segelflieger als Rekordtag eingehen. Mit Wolkenbasishöhen bis zu 3000m über Grund und Steigwerten zwischen 2-4 m/s hatten wir Wetterbedingungen wie auf dem Kontinent. Somit startete der Wettbewerb mit einem wirklichen Renntag. Eine besondere Herausforderung an diesem, aber auch an allen folgenden Tagen, war der britische Luftraum im Wettbewerbsgebiet. Hier reihte sich ein Beschränkungsgebiet an das Nächste. Immer mit verschiedenen Luftraumuntergrenzen, so dass wir ständig checken mussten wie hoch darf man wo steigen.
Geflogen wurde in drei verschieden Flugzeugklassen: 18-m Klasse, Standardklasse und Clubklasse. Ich war für die Clubklasse nominiert und trat mit meinem eigenen Flugzeug, einer LS 1f, an. In der Clubklasse fliegen die ältesten und damit leistungsschwächsten Flugzeuge. Die beste Pilotin Claudia Hill (GB) erreichte hier über eine Strecke von 337 km eine Schnittgeschwindigkeit von 112 km/h. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 102 km/h erflog ich mir den 9. Platz von 18 Teilnehmenden in meiner Klasse. Damit war ich erstmal zufrieden. Mein Ziel war es am Ende des Wettbewerbs, unter die ersten Zehn zu gelangen. In der Standardklasse siegte am ersten Tag die deutsche Pilotin Cornelia Schaich mit 134 km/h und in der 18möKlasse die deutsche Pilotin Katrin Senne mit 142 km/h. Auch unsere anderen Pilotinnen waren gut in den Wettbewerb gestartet.
Leider kam nun der Wetterumschwung. Das typische englische Wetter stellte sich mit Regen und tiefhängenden Wolken ein, sodass wir in den nächsten drei Tagen nicht fliegen konnten. Aber auch der nächste Wertungstag am 18. August gestalte sich sehr schwierig. Es sollte in meiner Klasse eine kleine Strecke von 176 km geflogen werden. Dieses schaffte nur die litauische Pilotin Edita Skalskiene. Alle anderen Pilotinnen mussten sich ein landbares Feld suchen, was nicht immer so einfach klingt wie es sich anhört. Währenddessen man auf der einen Seite noch versucht Thermik zu finden, muss man gleichzeitig entscheiden, welches Feld in der Nähe geeignet ist oder nicht. Man würde es nicht denken, aber England ist durchaus sehr hügelig und zum Landen braucht man eine ebene Fläche, es galt also hier richtig zu entscheiden, damit man das Flugzeug heil auf den Boden bringt. Ende August, mit einer Vielzahl von Stoppelfeldern, fanden die Pilotinnen aber alle ein geeignetes Feld. Anders als in Deutschland sind die Felder in England von großen Hecken umrandet und die Zufahrten oft durch Tore verschlossen. Genau auf so einem Feld war ich gelandet. Vor beiden Tore hingen dicke Ketten und nicht nur eine Hecke, sondern auch ein richtiger Zaun begrenzte das Feld. Schlussendlich, mit Hilfe von sehr netten Anwohnern des nahegelegenen Ortes, konnten wir ein Element aus dem Zaun vorübergehend entfernen und so den Anhänger aufs Feld zum Abrüsten des Flugzeuges ziehen.
In der Gesamtwertung rückte ich mit einer erflogenen Strecke von 158 km um zwei Plätze nach vorn. So kanns weiter gehen, dachte ich und arbeitet mich schon am nächsten Wertungstag weiter auf den 5. Gesamtplatz nach vorn. Mit 220 Punkten Abstand zur Erstplatzierten war ja auch noch alles offen.
Am nächsten Wertungstag starteten wir bei einer Wolkenuntergrenze von weniger als 900 m Höhe über Grund und mäßigem Steigen. Während des Wartens auf die Eröffnung der Abfluglinie zog sich die Wolkendecke zu. Irgendwann fanden sich fast alle Pilotinnen aller Klassen in zwei Aufwindblasen (Pulks) zusammen und versuchten in der Luft zu bleiben. Das Kreisen mit vielen anderen Segelflugzeugen in verschieden Höhen erfordert äußerste Konzentration. Da nun aber die Sonneneinstrahlung fehlte, konnten wir beim Kreisen keinen Höhengewinn erzielen und somit entschieden sich die Pilotinnen wieder auf dem Flugplatz zu landen. Das gesamte Feld stand wieder am Boden und musste neu in eine Startaufstellung aufgereiht werden. Eine Wetterbesserung war für drei Stunden vorhergesagt. Das sollte jedenfalls für zwei Wettbewerbsklassen reichen. Meine Klasse neutralisiert, das heißt wir blieben am Boden. Für die deutschen Pilotinnen der Standardklasse endete dieser Tag mit den Plätzen 1, 2 und 3 sehr erfolgreich, sodass Cornelia Schaich, die zwischenzeitlich die Führung mal abgeben musste, wieder den Platz 1 in der Gesamtwertung einnahm.
Für die Clubklasse Tag 4 und für die anderen Klassen Tag 5 begann mit blauem Himmel und Sonne. Voller Optimismus auf einen guten Tag erhielt die Clubklasse eine AAT (Assigned Area Task) mit einer Streckenwahl zwischen 122 km und 428 km und einer Zeitvorgabe von 3 Stunden und 15 Minuten. Auf dem ersten Schenkel waren die Bedingungen nur mäßig, wir hatten Mühe voranzukommen, beziehungsweise auch überhaupt oben zu bleiben. Das Wetter wurde dann stetig besser und die Schnittgeschwindigkeiten höher. Leider entschied ich mich, um in der vorgegebenen Zeit bleiben, nicht die Strecke zu verlängern. Andere Pilotinnen, die dieses taten, konnten somit ihren Gesamtschnitt verbessern. Die Italienerin Elena Fergani zum Beispiel verlängerte ihren Flug auf 3 Stunden und 28 Minuten und siegt mit knapp 82 km/h an diesem Tag. Ich erreicht mit 70 km/h nur den 10. Tagesplatz und viel in der Gesamtwertung wieder ein Platz nach unten. In der abendlichen Analyse erkannte ich meinen Fehler und ärgerte mich, denn ich sah auch, dass ich sonst bisher gute Entscheidungen getroffen hatte, fliegerisch und mental stark war. Ich sagte zu mir: „Das kannst du besser“. Die Chance dafür sollte ich aber erst am übernächsten Tag erhalten. Für den darauffolgenden Tag wurde die Clubklasse gleich am Morgen neutralisiert, da der Meteorologe nur ein kleines Wetterfenster vorsagt, welches nur den Start von zwei Klassen ermöglichen sollte. Die Pilotinnen Sabrina Voigt und Christine Grote der Standardklasse konnten ihre gute Platzierung des Vortages sichern, so dass in der Gesamtwertung Platz 1 bis 3 vom deutschen Team besetzt war. Auch die 18m-Klasse war mit dem Zwischenstand in der Gesamtwertung von Platz 4, 5 und 8 erfolgreich.
Der vorletzte Wertungstag bescherte uns wieder typisches englisches Wetter, also „Bastelwetter“. Nachdem alle Klassen gestartet waren, zog eine Störung durch. Unsere Bodencrew riet uns mit dem Abflug zu warten, da einige Pilotinnen der anderen Teams, die einen frühen Abflug gewählt hatten, schon sichtlich kämpften, um überhaupt oben zu bleiben. Eine weitere Schwierigkeit an diesem Tag, neben den schlechten Wetterbedingungen, war das richtige Durchführen des geforderten Abflugverfahrens mittels des sogenannten Pilot Event. Hierfür muss man in seinem Aufzeichnungsgerät, dem sogenannten Logger, einen Marker setzten, der besagt, dass man nach einer Wartezeit von 10 Minuten ein Abflugzeitfenster von wieder 10 Minuten zur Verfügung hat. Falls man dieses verpasst, muss man die Prozedur wiederholen. Erlaubt sind aber nur insgesamt 3 Versuche. Falls dieses nicht gelingt, muss man 50 Strafpunkte in Kauf nehmen. Für meine Teampartnerin Ulrike Teichmann und mich hatte dieses an diesem Tag gut funktioniert und wir konnten in dem Moment, wo sich das Wetter etwas verbessert hatte, gemeinsam abfliegen. Schon bald aber hatten wir uns verloren, blieben aber über Funk in Kontakt. Bei niedriger Basis und schwachem Steigen kämpften wir uns voran. Aufgrund der langen Wartezeit vor dem Abflug hatten sich die Klassen gemischt. Wir flogen also zusammen mit den Pilotinnen der 18m-Klasse und der Standardklasse. Viele Clubklassepilotinnen mussten an diesem Tag außen landen. Insgesamt schafften es nur vier und davon Ulrike und ich auf Platz 2 und 1. Mein erster Tagessieg auf einer Weltmeisterschaft. Wir waren sehr stolz und glücklich. Leider lief es für zwei unserer deutschen Pilotinnen an diesem Tag nicht ganz so erfolgreich, so dass Christine Grote aus der Standardklasse und Katrin Senne aus der 18m-Klasse leider in der Gesamtwertung einige Plätze verloren.
Nach wieder zwei Schlechtwettertagen kam nun schon der letzte mögliche Wertungstag. In der Gesamtwertung stand ich auf Platz 4 mit 20 Punkten Abstand zur drittplatzierten britischen Pilotin Claudia Hill. Das Ziel war klar. Ich wollte mindestens 21 Punkte mehr, als Claudia erreichen. Nach anfänglicher guter Thermik breiteten sich die Wolken aus und eine Abschirmung zog von Osten rein. Nichtsdestotrotz war mein Blick stets nach vorne gerichtet und ich fand immer Aufwinde, die mich zwar langsam, aber stetig voranbrachten. Beim Erreichen des letzten Wendesektors holte mich ein großer gemischter Pulk ein. Gemeinsam schraubten wir uns noch mal auf 1200m Höhe. Jetzt galt es nur noch, den Flugplatz zu erreichen. Mögliche Thermikquellen sah man nicht mehr am Horizont. Ein fast einheitliches Grau bedeckte den Himmel. Nur vereinzelte Löchlein in der Ferne ließen noch Sonnenstrahlung auf die Erde durch. Ungefähr 30 km vor dem Ziel kreisten dann ca. 15 Flugzeuge zusammen in niedriger Höhe mit einer Steigrate von 0,3 m/s, um sich in der Luft zu halten. Für die tiefsten von uns reichte dieses schwache Steigen nicht mehr aus und so sah man schon einige Flieger auf dem Acker unter uns. Glücklicherweise öffnete sich die Wolkendecke leicht, sodass sich eine Thermikblase ablöste, die uns mit 1 m/s genug Steigen bescherte, um Endanflughöhe zu erhalten. Mit einer kleinen Sicherheitshöhe flog ich ab. Beim Gleiten jedoch flog ich durch starkes Sinken. Meine Sicherheitshöhe verringerte sich zusehend. Ein zu tiefer Einflug in den Zielkreis hätte Strafpunkte und eine eventuelle Landung vor dem Flugplatz bedeutet. Jetzt, so kurz vor dem Ziel, wollte ich eigentlich nichts mehr riskieren. Von der Bodencrew bekam ich den Hinweis, dass auf meinem Weg vor mir gerade noch zwei Pilotinnen unseres Teams kreisten. Also flog ich dort hin, drehte noch drei Kreise, um wieder meine Sicherheitshöhe zu erlangen und flog dann heim.
Ich hatte es geschafft, aber wie war es meiner Konkurrenz ergangen. Ein erster Blick auf die Gesamtwertung zeigte mich auf Platz 2 mit 20 Punkten noch vor der Briten Claudia Hill, da die bisher führende französische Pilotin Aude Grangeray außengelandet und ich geringfügig schneller und ein Tick weiter geflogen war. Es waren aber noch lange nicht alle Pilotinnen in der Wertung. Nach und nach trafen die Außenlademeldungen ein. Mit jeder weiteren Meldung verringerte sich mein kleiner Vorsprung auf Claudia, da bei vielen Außenlandungen die Geschwindigkeitspunkte eine geringere Wertigkeit bekommen. Bronze war mir aber schon mal sicher. In diesem Sinne war mein Bangen in den nächsten folgenden zwei Stunden gar nicht so groß, denn ich freute mich eigentlich schon riesig über den Treppchenplatz. Schlussendlich gewann Claudia Hill mit einem einzigen Punkt Vorsprung Silber. Den Pokal und die Goldmedaille erflog sich Petra Piskata aus Tschechien in der Clubklasse. In der Standardklasse waren unsere deutschen Pilotinnen an diesem letzten schwierigen Tag auch wieder vorne mit dabei und so wurde Cornelia Schaich Weltmeisterin und die Brandenburgerin Sabrina Voigt Vizeweltmeisterin. Insgesamt erkämpften sich alle deutschen Pilotinnen einen Platz unter den ersten Zehn in ihren Klassen und mit dieser überzeugenden Leistung den Titel des Teamweltmeisters vor dem französischen und dem tschechischen Team.
Wie in allen anderen Sportarten gilt auch im Segelfliegen, dass sportliche Einzelleistungen immer auch Teamleistung sind. In meinem Fall hat mich mein Ehemann Rolf ganz großartig unterstützt. Deshalb kann ich nun stolz verkünden – Wir haben eine Bronzemedaille errungen. Hurra.